Ernte-Tour: Tomaten

Wir ernten Paradiesäpfel! Dazu fahren wir an den Niederrhein, genauer gesagt nach Straelen (langes A durch Dehnungs-E!) dicht vor der holländischen Grenze. Ein echtes Erlebnis mit sportlichem Trolley im Gewächshaus, ein bisschen Mathematik am Strauch und frischestem Ketchup vom Gastgeber.

Tomaten Gewächshaus

Matthias Draek und Christian Pretzlaw im Gewächshaus

Durch den leichten Morgennebel wagt sich noch etwas unentschlossen die Septembersonne hervor, die Rotoren der nahen Windräder drehen sich ruhig am Horizont und um uns herum erwacht das Leben in den dicht an dicht verteilten Gärtnereien und vorwiegend landwirtschaftlichen Betrieben. Im Hotspot der niederrheinischen Gartenproduktion angekommen, machen wir uns auf die Suche nach Gärtner Matthias Draek (genau: auch langes A), der hier mit seiner Familie leckere Tomaten anbaut. Ganz in der Nähe hat übrigens auch der innovative Marktführer Landgard seinen Hauptsitz, der die frischen Produkte für die angeschlossenen Erzeuger vermarktet. Nach einer kurzen Irrfahrt über Feldwege an bunten Blumenfeldern vorbei hoppeln wir schließlich auf seinen Hof und siehe da: Er wartet schon auf uns.

Windräder Blauer Himmel Gewächshäuser Straelen begrüßte uns mit bestem Ernte-Tour-Wetter.

Mit dem Trolley durchs Gewächshaus

„Na dann kommt mal gleich mit, gibt ja ne Menge zu sehen“, freut sich Matthias und lädt uns ein, auf seinem Elektro-Trolley mitzufahren. Die Strecken hier in den Gewächshäusern sind doch etwas länger, gleich die erste Halle ist schon mal gut 100 Meter lang. Hinein ins Tomaten-Paradies: rechts und links der Fahrwege befindet sich der geordnete Dschungel tausender Tomatenpflanzen, von vorn betrachtet ein scheinbar undurchdringliches Grün von dichtem Blattwerk.

Nur scheinbar undurchdringliches Grün: Der geordnete Tomaten-Dschungel!

Seitlich jedoch öffnen sich die hochgewachsenen Pflanzenfelder in schmalen, schnurgeraden Korridoren, an deren Boden Schienen verlegt sind für die fahrbaren Scherenpodeste der Erntehelfer. „In dieser Halle ernten wir Cherrytomaten“, sagt Matthias und zeigt auf eine Rispe mit knallroten Früchten. „Über 3000 Tomatensorten gibt es, eine unglaubliche Vielfalt – die können wir natürlich nicht alle anbauen. Also haben wir uns auf 7 Sorten beschränkt. Ich zeig sie euch mal.“

Er führt uns zu einer Reihe von Kisten, aus jeder strahlt uns eine andere Sorte rot an. Cocktail-Tomaten, Cherry- und Mini-Cherry-Tomaten, Roma-Cherry-Rispe… groß, mittel und klein, kugelrund oder eher länglich, schön abwechlungsreich. Und das sind nur 7 von 3000 Sorten!

Ernte von März bis Oktober

Wachsen Tomaten eigentlich im Gewächshaus das ganze Jahr? „Nee, auch wir machen mal eine Tomatenpause. Von Ende Oktober bis Anfang März kommen die Tomaten eher aus dem Süden Europas. Die meisten Tomatenarten sind einjährige Pflanzen, wir pflanzen Ende November die ersten Jungpflanzen, die sind dann ca. 50 Zentimeter hoch und die erste Ernte ist dann Anfang März. Je nach Wetterlage und Sorte kann bis in den November hinein geerntet werden. Dann kommt alles raus und wir fangen wieder von vorne an.“

35 x 8 + x = Ganz schön viele Tomaten

Wer schon mal selbst Tomaten angebaut hat, der weiß: so eine Pflanze wird je nach Sorte unterschiedlich groß. Als Busch ca. 50 Zentimeter, als hochwachsende Art in der Rankspirale vielleicht 2 Meter. Hier bei Matthias werden die Pflanzen aber bis zu 12 Metern lang! Die Stränge ziehen sich wie Lianen in einem dicken Strick über viele Meter entlang in der Horizontalen, bevor sie sich jeweils einzeln an ihren jeweiligen Halteseilen nach oben ranken, dem Licht entgegen.

35 Rispen mit je 8 Cocktail-Tomaten werden pro Pflanze geerntet, die Rispen der Mini-Cherry-Tomaten tragen sogar 12 Früchte und mehr. Wasser und Nährstoffe erhalten die Pflanzenwurzeln automatisch über kleine Schläuche, die in den Pflanzsäcken mit Perlite stecken, einer speziellen Mischung aus Basaltgranulat. Sieht untenrum irgendwie sehr technisch aus, aber obenrum: prächtige, gesunde Tomaten. Den Pflanzen scheint das Leben hier zu bekommen.

Slideshow: Der Weg der Tomate…

Schwarzgelbe Bestäuber

Dafür sorgen auch die vielen Hummeln, die hier fleißig herumbrummen und die Tomatenblüten bestäuben. Matthias zieht einen überdimensionierten Schuhkarton hervor, und sagt: „Hier wohnen unsere Hummeln. Ohne die gäbe es keine Tomaten. Und deshalb gibt’s hier auch keine Pflanzen- und Insektengifte. Klare Sache: biologischer Pflanzenschutz.“

Hummel Tomaten Insektengifte sind hier tabu, denn: Ohne Hummel keine Tomate.

Tatsächlich sind Tomaten sogenannte Vibrationsbestäuber, in Gewächshäusern mussten ihre Blüten daher bis vor 30 Jahren elektrisch bestäubt werden – ein Riesenaufwand und nicht sehr effizient. Dann entdeckte man die Dunkle Erdhummel, die seitdem fast überall auf der Welt diesen Job macht.

Von Ferne hören wir plötzlich einen mehrstimmigen, exotischen Gesang, klingt irgendwie nach Fernost finden wir – und nicht sehr niederrheinisch. Matthias lacht: „Das sind unsere indischen Erntearbeiter, die singen gerne bei der Arbeit. Lieder aus ihrer Heimat.“ Hört sich schön an. „Die sind schon lange bei uns, zwei von ihnen haben sich hier gerade ein Haus gebaut, die mögen das hier. Gute Leute.“ Später begegnen wir ihnen in ihrem Aufenthaltsraum, jeder mit stattlichem Turban und freundlichem Gesicht. In Straelen ist echt Vielfalt angesagt. Prima so.

Samen-Lieferung von Kolumbus

Apropos Ferne. Genau daher kommt nämlich unsere Tomate. Schon ihr ursprünglicher Name zeugt davon: XITOMATL, so nannten die Azteken vor 500 Jahren diese roten Früchte, deren Samen schließlich Christoph Kolumbus nach Europa mitbrachte. Es dauerte dann aber noch ein paar hundert Jahre, bis die Tomate ihren Siegeszug durch europäische Gärten und Küchen antrat. Zuerst in Italien, wo sie auch Liebesapfel genannt wurde oder Pomodoro – Goldapfel. Österreicher nennen Tomaten daher Paradeiser, die das erste Mal um 1900 auf Wiener Märkten feilgeboten wurden. Tja und nach Deutschland – ob man es glaubt oder nicht – wanderten die Tomaten erst um 1950 ein, vielleicht zusammen mit den italienischen Gastarbeitern, die uns glücklicherweise ihre Geschmacksvielfalt mitbrachten. Zuerst sehr exotisch (Miracoli!), heute allgegenwärtig (siehe auch die römisch/italienische Herkunft der Rauke/Rucola bei unserer ersten Ernte-Tour im Sommer).

Die Deutschen lieben Tomaten! Immerhin verspreist ein jeder von uns durchschnittlich 22 kg im Jahr, die Hälfte davon als frische Früchte. Und auch wenn sie zu 95 Prozent aus Wasser bestehen, so hat’s der Rest noch in sich. Reich an Vitamin A, B1, B2, C und E, Kalium und Biotin, wirkt aber auch das rotfärbende Carotinoid Lycopin antioxidativ, stärkt die Immunabwehr und kann das Risiko bestimmter Krebsarten senken. Dabei haben Tomaten einen geringen Brennwert – man kann die roten Prachtstücke quasi pausenlos essen ohne dick zu werden.

Der Ernte-Tour-Tisch: Nur mit frischstem Ketchup

Unseren Besuch bei Matthias beenden wir wie stets bei unseren Besuchen an unserem Ernte-Tour-Tisch. Heute gibt es ein Gericht aus frisch geernteten Tomaten und wir sind schon gespannt auf das Ergebnis. Es gibt das Lieblingsgericht aller Kinder, Spaghetti mit Tomatenketchup – selbstgemacht, versteht sich!

Matthias zeigt uns stolz seine frisch gefüllten Ketchup-Flaschen: „Ganz frisch, noch ziemlich warm, schmeckt super!“ Wir probieren und – Tatsache – die Sauce auf den dampfenden Spaghetti ist der Hammer. Rezept? Matthias hilft weiter. „Wichtig dabei: Reif und aromatisch müssen die Tomaten sein und man sollte zur Hälfte saftige Cherry-Tomaten nehmen und zur anderen Hälfte etwas mehligere Roma-Tomaten.“ Danke, Matthias, auch für diesen Tipp!

Frischer Tomaten-Ketchup Aus dem Gewächshaus direkt in die Flasche: Frischer geht's nicht!

Und noch ein anderer Trick von Matthias: Tomaten nicht im Kühlschrank lagern, sondern bei 13 bis 18°C aufbewahren – Geschmack und Haltbarkeit leiden unter 12°C erheblich. Tomaten halten sich bei Zimmertemperatur auch ungekühlt 2 Wochen.

So, Freunde: Und nun auf zum Ketchup-Contest – wer macht den besten?

Tipps vom Tomatenprofi Das Wichtigste für HobbygärtnerInnen